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Bericht über die Konservierung und Restaurierung des Rundgemäldes von Edouard Castres 1996-2003

Zur Erinnerung sei angemerkt, dass das Bourbaki-Panorama als eines der wenigen noch erhaltenen Riesenrundgemälde in einzigartiger Weise von der Mediengeschichte des 19. Jahrhunderts zeugt. Es ist eine Sensation aus der Zeit vor dem Kino, eine aufwühlende Anklage des Krieges und ein Zeugnis der ersten humanitären Aktionen des Roten Kreuzes. Im Inneren des Rundbaus befindet sich das beeindruckende Riesenrundgemälde von Edouard Castres aus dem Jahre 1881. Es misst im Umfang rund 112 m in der Länge, ist im Durchschnitt 9 m hoch und zeigt die französische Ostarmee des Generals Bourbaki bei ihrem denkwürdigen Übertritt in die Schweiz am Ende des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71. Dem Gemälde vorgelagert ist ein plastisch gestaltetes Gelände, das die ganze Szenerie in einer verblüffend dreidimensionalen Wirkung zur Geltung bringt. Gemälde und Vorgelände erzeugen zusammen eine Illusion, die Besucherinnen und Besucher an einen anderen Ort und in eine andere Zeit entführt. Sie erleben mit, wie ein Teil der 87'000 Mann starken Ostarmee bei Les Verrières über die Grenze tritt, entwaffnet und von der Zivilbevölkerung umsorgt wird.

Im September 2003 konnte die sieben Jahre dauernde Restaurierungskampagne am Bourbaki-Panorama glücklich abgeschlossen werden. Die eigentlichen Sicherungs- und Konservierungsarbeiten an dem über 1000 m2 grossen Gemälde haben bereits im März 1996 begonnen. Ausgangslage der Arbeiten war eine vom Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft (SIK) erstellte Untersuchung von 1994. Um dem Leser einen Überblick der wichtigsten Resultate zu geben, folgt eine Zusammenfassung des Berichtes:   Das ursprünglich 14,50 m hohe Gemälde wurde hauptsächlich an der Oberkante und im geringen Masse an der Unterkante zweimal (1926 und 1949) beschnitten. Es wies nach dieser Verkleinerung eine geringere durchschnittliche Höhe von 9,2 m auf, was einer Fläche von ca. 1035 m2 entspricht.  Der Bildträger selber ist an der Bildoberkante an einem 1949 gebauten Holzring (Pfettenkranz) befestigt, welcher aus fünf im Radius gesägten und schichtweise zusammengenagelten bzw. verschraubten Lamellenbrettern hergestellt ist. Zur Befestigung des Malgewebes am Pfettenkranz wurden Paschnägel eingeschlagen. Bei der letzten Beschneidung und Umhängung im Jahr 1949 wurde das Rundgemälde im oberen Bereich bis zu einer Höhe von 1,20 m mit einem zweiten Gewebe hinterklebt. Es handelt sich hierbei um eine Baumwollgaze, welche mit einem wässrigen Leim aufgeklebt wurde.  Die Gemäldeunterkante war über eine Länge von ca. 90 m mit der Kulisse (Faux-Terrain) verklebt, die restlichen 22 m hingen mehr oder weniger frei. Das Gewebe warf an diesen Stellen grosse Falten.

Vorzustand des Trägergewebes

Das Gewebe des Panoramas, welches aus einem Gemisch zweier unterschiedlicher Pflanzenfasern (Flachs und Jute) besteht, ist in einer sogenannten Leinenbindung mit doppelt geführter Kette gewoben.

Die Gewebefasern sind heute infolge der starken Oxidation dunkelbraun und extrem brüchig. Die Untersuchungen auf Reisskraft und Reissdehnung zeigten, dass das Gewebe mit Farbe noch ca. 20-30 % der Festigkeit bewahrt hat. Man stellte ferner fest, dass die Leinwand bei Biegeversuchen eine starke Neigung zum Brechen aufweist. Der Säuregehalt des Gewebes muss mit einem ph–Wert von  3,3 - 4,0 als sehr hoch bezeichnet werden. 

 Die Rückseite des Panoramabildes war rückseitig extrem stark verschmutzt. Es handelt sich hierbei um russhaltige Ablagerungen, die durch in das Panorama eingedrungene Abgase aus der darunter befindlichen Garage stammen. (In der Garage wurde von 1926 bis weit in die 1950-er Jahre hinein die Heizung mit einem Gemisch aus Heizöl und Motorenaltöl im Verhältnis 1 : 1 betrieben.)

Das Trägergewebe selber besteht aus insgesamt 17 zusammengenähten Bahnen, welche mit Ausnahme einer Bahn, alle eine Breite von ca. 6,45 - 7,1 m aufweisen. Für das Zusammennähen der einzelnen Bahnen wurde der sogenannte Überwendlingsstich gewählt. Die Nähte sind so ausgeführt, dass kleine, häufig im Nahtbereich anzutreffende Risse von der Naht gestoppt werden und die Festigkeit dieser Bereiche sogar unterstützen.  Die Hauptschädigungen an den Nahtstellen treten - ähnlich wie beim Gewebe - in Bereichen auf, welche mit Wasser in Berührung kamen. An diesen Stellen ist der Bildträger sehr geschwächt. Die unteren zwei Drittel des Panoramagemäldes sind insgesamt stärker betroffen als das obere Drittel, bedingt durch die glockenförmige Ausdehnung des Bildträgers im unteren Bereich. Die meisten Risse und Löcher im Malgewebe konzentrieren sich - neben einigen grösseren Rissen unmittelbar unter dem Pfettenkranz - auf diejenigen Stellen, wo vor allem durch mechanische Einwirkung Schäden entstanden sind. (Der Bereich unmittelbar hinter dem Gemälde diente bis vor wenigen Jahren noch als Autoersatzteillager). 

Die Gemäldeoberfläche wird insbesondere durch grossflächige Deformationen in Form von Wellen- und Faltenbildungen gestört. Die Deformationen sind in erster Linie auf den nicht geradlinigen Verlauf des oberen Befestigungsringes zurückzuführen. Durch die Setzungen des Panoramagebäudes liegt heute eine Höhendifferenz in der Nord-Südachse von ca. 60 cm vor. Aufgrund der höchst unzureichenden statischen Konstruktion des Holzringes aus fünf zusammengenagelten Brettern hat er sich darüber hinaus wellenartig verformt, d.h. zwischen je zwei Befestigungspunkten an der Dachkonstruktion (Abstand 3,50 m) hängt er jeweils um ca. 5 - 7 cm durch. 

Vorzustand der Malschicht

Die Haftung der Grundierungs- und Malschicht am Träger kann als relativ gut bezeichnet werden, daher waren keine besonderen konservierungstechnischen Probleme in Bezug auf die Malschicht zu erwarten.  Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich das Rundgemälde insgesamt in einem labilen Zustand befand. Schwachpunkt im Bildgefüge ist vorwiegend die obere Bildkante unmittelbar unterhalb der Befestigungslinie am Pfettenkranz. An dieser Stelle ist die Belastung des Gewebes am grössten (das Gemälde wiegt ca. 1000 kg) und eine Gefährdung durch Ermüdungs- oder Erschütterungsrisse immanent. Des Weiteren war das Malgewebe durch eindringendes Regenwasser infolge des undichten Daches stark gefährdet. Ausserdem hing das Gemälde zu hoch, was zur Folge hatte, dass es an der Bildoberkante unter dem Dach zu einem eigentlichen Hitzestau kam. Teilweise konnten während der Sommermonate Temperaturen von bis zu 450 C gemessen werden.

Konzept

Auf Grund dieser Resultate und nach Beratungen mit internationalen Experten beschloss der Verein zur Erhaltung des BourbakiPanoramas das Gemälde nicht - wie ursprünglich geplant – auszubauen (auch nicht temporär), sondern die Konservierung und Restaurierung in situ, also vor Ort durchzuführen. Die fehlenden Teile im Bereich des Himmels sollten nicht ergänzt und das Gemälde auf das ursprüngliche Aufhängungsniveau abgesenkt werden. Mit der Planung und der Durchführung wurde das SIK beauftragt, welches ein Konzept mit drei Arbeitsphasen vorschlug: Phase 1: Sicherung des Gemäldes (1996 – 1997) Phase 2: Konservierung der Leinwand (1998 – 2001) Phase 3: Restaurierung der Malschicht (2002 – 2003) Die Leitung und Koordination der Arbeiten übernahm Christian Marty vom SIK, Zürich. Er wurde durch ein Leitungsteam, bestehend aus Liselotte Wechsler (Luzern), Emil Bosshard (Bischofszell) und Moritz Bösiger (Bern) unterstützt. 

Sicherung des Gemäldes (Phase 1)

Bei den Sicherungsarbeiten ging es in erster Linie darum, das Gemälde so zu konservieren und zu stabilisieren, dass es die mit Erschütterungen verbundenen Abbrucharbeiten der Randbebauungen des Altbaus und die anschliessenden Neubauarbeiten unbeschadet überstehen konnte.

Darüber hinaus waren jedoch zuerst die nötigen Voraussetzungen im Bereich der Infrastruktur zu schaffen, um überhaupt am Gemälde arbeiten zu können. (Rückbau des Faux Terrain, Planung und Bau eines begehbaren Gerüstes hinter dem Gemälde, Montage eines Schutzvorhanges gegen Staubimmissionen während der Umbauarbeiten, Bodensanierung, usw.). 

Im Einzelnen ging es besonders darum, den hölzernen Pfettenkranz, welcher an 32 Punkten aufgehängt oder an der Stahlkonstruktion fixiert war, mit einer Stützkonstruktion aus Metallschienen zu unterfangen. Damit sollte - falls Erschütterungen auftraten - ein Brechen des relativ unflexiblen und starren Pfettenkranzes vermieden werden. Zusätzlich konnten an der Eisenkonstruktion, wenn nötig, Geräte für die Konservierung und Restaurierung befestigt werden. 

Die eigentliche Sicherung der Bildstruktur konzentrierte sich auf den besonders rissgefährdeten Teil des Gemäldes direkt unter dem Pfettenkranz. Bei einer durchschnittlichen Gemäldehöhe von 9 m beträgt das Zuggewicht des Malgewebes pro Laufmeter ca. 10 kg. Um im Falle eines Risses im Gewebe ein weiteres Ausreissen desselben zu verhindern, wurde die besagte Zone mit einer zusätzlichen Aufhängevorrichtung entlastet. Da Erfahrungswerte über Art, Tragfähigkeit und Funktionstüchtigkeit einer Magnetsicherung für Gemälde bis anhin fehlten, wurde anhand eines Modells im Massstab 1:1 ein optimales Verhältnis zwischen Magnetstärke und Andruckgewicht pro cm2  gefunden, ohne die fragile Malschicht zu zerdrücken. Die Versuche zeigten, dass die Magnete in der Lage waren, leicht mehr als das Doppelte des Gewebezuggewichtes zu sichern. Sogenannte Haftmagnete mit weicher, rutschfester Haftfläche wurden als geeignet erwägt. In Bezug auf das zusätzliche Gewicht der Magnete, welche durch das Gewebe zu halten waren, ist anzumerken, dass ein Magnet 34 g wiegt. Benötigt werden insgesamt rund 1323 Stück mit einem Gesamtgewicht von 44,98 kg, was auf 112 Laufmeter verteilt nur gerade 400 g zusätzliches Gewicht ausmachte. Für die Haftung der Magnete sind auf der Rückseite des Gemäldes im Abstand von 1,2 m von der Pfettenkranzunterkante Stahlbleche von 2 m x 25 cm Grösse aufgehängt worden und das Gemälde wurde gleichsam wie ein Sandwich eingeklemmt. Die Zugkräfte des Gewebes wurden von den Magneten mittels Drahtseilen auf die neu montierte Stützkonstruktion des Pfettenkranzes übertragen. Je nach Bedarf konnten diese Zugkräfte über die Sicherungsdrähte aufgefangen und mit Hilfe der Wantenspanner nachgestellt werden. Mit dieser Vorrichtung wurde der obere Bildteil entlastet und damit die Gefahr der Rissbildung vermindert. Allerdings war bei diesem System eine periodische Kontrolle der Blechstellungen unumgänglich, da jede Klimaveränderung Bleche und Magnete nach oben oder unten verschieben liess. Um ein Rutschen des Gewebes zwischen Magneten und Metallblechen zu verhindern, wurde zusätzlich ein gleithemmender Film aufgebracht.  

Parallel zu diesen Arbeiten mussten technische Lösungen für die Verklebungen der über 400 Risse und Löcher in der Leinwand gefunden werden. Die schwierigen Rahmenbedingungen am Panoramagemälde (extreme Zugbelastung auf das Malgewebe, schlechter Erhaltungszustand und auseinanderklaffende Risse in vertikaler Position) erforderten besondere Gerätschaften und Materialien in Bezug auf deren Verarbeitungsfähigkeit und Praktikabilität. Auch für die Rissverklebung wurden am Modell verschiedene Methoden erarbeitet und sogar drei mobile Niederdruckgeräte speziell für die Arbeiten am Panoramagewebe gebaut.  Als weiterer Schritt erfolgte die Entwicklung und der Bau einer Vorrichtung, welche einerseits ein Absenken des ca. 1000 kg schweren Gemäldes um rund 1,6 m ermöglichte und andererseits durch den Ausgleich der Schieflage die vorhandenen Deformationen des Gemäldes ausgleichen konnte. Dabei musste darauf geachtet werden, dass die Statik des 1949 erbauten Pfettenkranzes nicht verändert und keine Spannungen auf das Gemälde übertragen wurden. Mit Hilfe von Spezialisten wurde ein Windensystem mit 32 einzelnen Modulen entwickelt und erfolgreich angewendet. Das gefahrlose und sichere Absenken stellte allerdings eine nicht alltägliche Herausforderung an die Konservatoren-Restauratoren und war eines der heikelsten Arbeiten an der ganzen Konservierungskampagne. Die Absenkeinrichtung erlaubte zudem, an Stellen wo grosse Wellenbildung zu verzeichnen war, ein Anheben bzw. ein Absenken einzelner Teile des Pfettenkranzes. Auf diese Weise ist es im Laufe der Konservierungs- und Restaurierungskampagne gelungen, die riesigen Faltenbildungen zu reduzieren bzw. sogar zu beseitigen. Gleichzeitig wurde an der Rückgewinnung der ursprünglichen Hyperboloidform des Rundbildes gearbeitet, indem man lokal mit Druck und leichter Feuchtigkeit die Deformierungen (Beulen und Wellen) im Gewebe beseitigte. 

Konservierung der Leinwand (Phase 2)

In der zweiten Phase ging es darum, das Gewebe und Farbschicht des Gemäldes langfristig zu konservieren. Aus diesem Grund sind im Vorfeld diverse Abklärungen und Messungen vorgenommen worden: Zum einen wurden die Klimamessungen, welche bereits 1994 begonnen wurden, ab 1996 intensiviert und systematisiert, da Klimaschwankungen im Bildinnenraum natürlich auch Auswirkungen auf das Gewebe hatten. Zum anderen zeigten Beobachtungen an der Unterkante des Gewebes, dass sich dieses bei Klimaänderungen bewegt. Messungen mit einem optoelektrischen Sensor (Laser) bestätigten, dass es sich bei sinkender Luftfeuchtigkeit zusammenzieht bzw. bei erhöhter Luftfeuchtigkeit dehnt. Analog verhielt es sich bei Temperaturänderungen. Mit anderen Worten ist das Gemälde in der warmen Jahreszeit länger als im Winter. Die bisher grösste gemessene Ausdehnung in Kettrichtung der Faser beträgt 1,3 cm/m. Die Aufzeichnung der Längenausdehnung dient jetzt in erster Linie der Kontrolle des Klimas, da jede Veränderung im Klimabereich sofort auch als Bewegung am Bildträger zu erkennen ist. Um die Mechanismen dieses Bewegungsablaufes noch genauer zu verstehen, ist im Januar 2004 von der Hochschule für Technik, Informatik und Architektur (FHS), dem SIK und der Stiftung Bourbaki-Panorama ein Forschungsprojekt begonnen worden. 

Der schlechte Erhaltungszustand des Malträgers hatte natürlich die Frage aufkommen lassen, ob das Gewebe in diesem Zustand die nächsten 50 Jahre unbeschadet überstehen könne oder ob mit einer weiteren Degradation der Fasern zu rechnen sei. Bestand nicht die Gefahr, dass der Bildträger infolge einer Materialermüdung reissen würde? Die Erfahrung mit anderen Bildträgern hat gezeigt, dass es vom konservatorischen Standpunkt aus eigentlich nicht verantwortbar ist, ein Gewebe mit diesem Schwächungsgrad und mit der grossen Zugbelastung ohne konservierende Massnahmen zu belassen. Eine solche übliche Methode wäre, an den Schwachstellen (Rissen usw.) mit Hilfe von lokalen Verklebungen das geschwächte Gewebe zu verstärken und/oder mit einem zweiten Träger zu versehen (Doublierung). Eine Doublierung wäre im Falle des Bourbaki – Panoramas wohl technisch möglich, aber wegen der hohen Sprödigkeit des Trägers nur unter grösster Gefahr für das Original wieder zu entfernen - wenn überhaupt. Eine Alternative für eine Doublierung böte die Neutralisierung der sauer gewordenen Gemäldestruktur mit Hilfe einer schwach alkalischen Lösung. Derartige Verfahren waren allerdings in der Konservierungstechnik von Leinwandgemälden bis anhin völlig unbekannt, weshalb der Verein zur Erhaltung des Bourbaki-Panoramas ein Forschungsprojekt zur Entwicklung einer Methode für die Entsäuerung des Gewebes bewilligte. Es stellte sich jedoch heraus, dass wegen dem mangelhaften Eindringverhalten der Neutralisierungslösung (ölhältige und verschmutzte Fasern) und andererseits die zu langsame Reaktion unter den Klimabedingungen im Panorama von einer solchen Behandlung abzuraten war. Allerdings haben die intensiven Messungen und Untersuchungen sowie die praktischen Erfahrungen aus den Arbeiten am Gemälde gezeigt, dass die Reissfestigkeit des Gewebes stabil bleiben könnte, wenn das Klima im Bildinnenraum keinen grossen Schwankungen unterliegt. Aus diesen Gründen wurde der Einbau einer Anlage zur Klimaregulierung forciert und zum zusätzlichen Schutz des Gemäldes vor schädlichen UV- und IR-Strahlen sind Spezialglasfenster im Dach des Gebäudes eingebaut worden. Weitere Untersuchungen dienten der Bestimmung der Faserfestigkeit. Ziel dieser Arbeit war es, die Frage nach der Reissfestigkeit zu beantworten und, in einem weiteren Schritt, Angaben über die Zugbelastung für die geplante Spannvorrichtung an der Bildunterkante zu machen.  Eine solche Spannvorrichtung war nötig, um die Hyperboloidform wieder zu erlangen. An der Unterkante gefundene Ringösen im Gewebe wiesen darauf hin, dass das Gemälde früher einmal - vermutlich durch Schnurzüge - gespannt war. Im Falle des Bourbaki - Panoramas ist aus konservatorischen Überlegungen heraus beschlossen worden, diese Form wiederherzustellen. Eine starre Fixierung des Gewebes wollte man jedoch mit Rücksichtnahme auf die starke Schwächung des Gewebes vermeiden. Die Resultate zur Bestimmung der Faserfestigkeit sagten, dass betreffend einer Reissgefahr des Gewebes keine unmittelbare Gefahr besteht. Für die Spannvorrichtung an der Bildunterkante wurde eine maximale Spann- bzw. Zugbelastung von 5 kg/m als verantwortbar angesehen. Aus Sicherheitsgründen ist das Zuggewicht jedoch auf 1,8 kg /m limitiert worden, was bei weitem genügte, dem Gewebe die nötige Spannung zu verleihen. Um das Verhältnis zwischen Zugkraft und Wölbung der Leinwand zu simulieren, wurde - ähnlich wie in der Phase 1 - ein Modell für eine solche Zugvorrichtung gebaut. Damit die Hyperboloidform zurückgewonnen werden konnte, sollten frei hängende Gewichte einen vertikalen Zug auf das Gewebe ausüben, ohne es aber zu schwächen. Zusätzlich mussten die Gewichte in horizontaler Richtung verschiebbar sein, um die Falten im Gewebe auszugleichen. In zahlreichen Versuchen kristallisierte sich folgende Lösung heraus: An die Bildunterkante wurden fortlaufend ca. 1 m lange und ca. 15 - 50 cm breite Gewebe angebracht, welche an der Unterkante mit einem Messingblech stabilisiert wurden. Das Messingblech wurde in regelmässigen Abständen mit Löchern versehen, um die Haken für die Schnüre mit den Gewichten befestigen zu können. Die aus Flachstahl gearbeiteten Gewichte bestehen aus drei zusammenschraubbaren Elementen à 100 g. Die Gewichte sind so konstruiert, dass - wenn es nötig erscheint - ohne weiteres solche dazugefügt oder weggenommen werden können.

Die zurzeit angebrachten Zuggewichte entsprechen ungefähr einem Drittel des vom Ingenieur zulässig erachteten Werte. Insgesamt sind an der Unterkante 780 Gewichte montiert worden. Eine am Boden montierte verstellbare Stützvorrichtung erlaubt zudem, die Zuggewichte mit Hilfe eines Metallrohres in vertikaler und horizontaler Richtung zu positionieren um die Hyperboloidform zu vervollständigen und darüber hinaus, die Verwerfungen und die Wellen im Gewebe zu reduzieren. 

Den Abschluss der Konservierungsarbeiten beinhalteten die definitive Sicherung der Bildoberkante. Mit Beendigung der Bauarbeiten konnte davon ausgegangen werden, dass sich die Gefahr einer mechanischen Beschädigung sehr stark vermindert hat. Zudem war die Bildstruktur des Bourbaki – Panoramas wieder in sich geschlossen, da sämtliche Risse und Löcher gesichert und verklebt worden sind. Die Bildoberkante (in diesem Falle der Pfettenkranz) war durch eine Metallkonstruktion gegen Brechen gesichert und die Bildunterkante konnte mit Hilfe der Rückhaltevorrichtung stabilisiert werden. Der nach wie vor schwächste Punkt im Bildgefüge – die Bildoberkante – wurde immer noch  mit der Magnetsicherung gegen ein Ausreissen gesichert. Weiter konnte man – unter Kenntnisnahme der Forschungsarbeiten zur Entsäuerung des Gewebes – annehmen, dass unter der Voraussetzung einer geeigneten Klimatisierung der Abbau der Cellulose nur mehr langsam vor sich geht. Verschiedene Beschädigungen am Gewebe durch Fremdeinwirkung während der Bauarbeiten sind ohne grössere negative Konsequenzen für die Leinwand geblieben. Daraus konnte gefolgert werden, dass dem Gemälde in unmittelbarer Zukunft keine Gefahr durch Risse drohen sollte. Allerdings musste die Schwachstelle unterhalb der heutigen Befestigung am Pfettenkranz nach wie vor gesichert, d.h. die bestehende Magnetsicherung durch eine andere ersetzt werden. Da sich die provisorische Magnetsicherung bestens bewährt hat, wurde nach einem Modellversuch eine modifizierte Version in Serie gebaut und an der Bildoberkante montiert. Der Vorteil der neuen Magnetsicherung liegt darin, dass diese jetzt vom Gerüst aus zugänglich und justierbar ist. 

 Als zusätzliche Sicherung der Bildoberkante, ist die Zone im Bereich der genagelten Aufhängung mit Sperrholzlatten, welche mit Kork gepolstert waren geschützt worden. Parallel zu den Konservierungsarbeiten ist auch der sogenannte optische Apparat (Faux- Terrain, Sonnensegel, Baldachin und Velum sowie die Besucherplattform) als weiteres wichtiges Element des Panoramas optimiert oder neu gebaut worden, so dass dem Besucher des Bourbaki Panoramas wieder ein ganzheitliches Erlebnis geboten werden kann.

So wurde beispielsweise das Faux-Terrain durch die Szenographin Dominique Tcherdyne vollkommen neugestaltet. 

Restaurierung der Malschicht (Phase 3)

In der letzten Phase der Arbeiten wurde die Malschicht restauriert, an welcher sich bis heute vier grössere Restaurierungskampagnen nachweisen liessen. Einige der Eingriffe wirkten optisch störend oder hatten wegen ihrer Materialeigenschaften längerfristig eine schädigende Wirkung auf die Malschicht. Die technologischen Untersuchungen haben unter anderem gezeigt, dass viele Teile der Schneeflächen grossflächig übermalt waren. Zudem hatte sich an einigen Stellen die Malschicht farblich verändert. Das heisst, es sind sehr viele Spuren vorhanden, welche auf die wechselvolle Geschichte des Gemäldes hinwiesen. Einige von Ihnen wirkten optisch störend oder hatten längerfristig auch eine schädigende Wirkung auf die Malschicht. Es mussten deshalb notgedrungen einige der das Gemälde schädigende, frühere Eingriffe entfernt werden (Entrestaurierung). UV-Untersuchungen sowie Probenentnahmen, verbunden mit der Untersuchung der Malschichten, haben beispielsweise ergeben, dass viele Teile der Schneeflächen grossflächig übermalt waren.  Allerdings ist zu bemerken, dass sich die grossen Übermalungen nicht in den Bereichen erstrecken, welche für die Komposition relevant sind (z.B. Personen- oder Tierdarstellungen). Die Proben an ausgesuchten Stellen auf der Bildoberfläche haben gezeigt, dass ein systematisches Entfernen aller Übermalungen und Retuschen wenig ästhetischen Gewinn bringen würde. Deshalb hat man sich für ein stufenweises Vorgehen bei der Reinigung der Oberfläche entschlossen. Als erste Massnahme wurde die weissgelbe Schmutzschicht auf der Bildoberfläche mit dem Staubsauger entfernt, ebenso ist die Gemälderückseite behandelt worden. In einem nächsten Schritt beseitigte man die allgemeinen Verschmutzungen wie Taubenkot, Wasserränder usw. von der Bildoberfläche. Erst dann sind die blind gewordenen Firnisschichten und alten Retuschen sowie die Verfärbungen, welche durch eingedrungenes Wasser entstanden sind, entfernt worden.  Oberstes Ziel all dieser Massnahmen war es, einerseits den gealterten Zustand der Farbschicht zu respektieren und andererseits die unterschiedlich verfärbten Flächen im Gemälde als Gesamtes einheitlich erscheinen zu lassen. Für die Ergänzungen der Fehlstellen in der Malschicht wurde die Technik der Punktretusche angewendet, da die Betrachterdistanz von ca. 9 m die einzelnen Farbpunkte im Auge des Besuchers zu einer Fläche verschmelzen lässt. Ein Firnisauftrag wurde lediglich zum Ausgleichen von matten Stellen, welche durch die Firnisabnahme entstanden waren, aufgebracht. Angestrebt wurde die Beibehaltung eines einheitlichen Sättigungsgrades der Malschicht.

Quellen und Literatur

Christian Marty und Emil Bosshard, Grosspanoramen und ihre Erhaltung - Eine Bestandsaufnahme, Maltechnik/Restauro 3, l985, S. 9 - 32.

Christian Marty und Volker Schaible, Bericht zur Voruntersuchung über den Erhaltungszustand des Rundgemäldes von Edouard Castres im Bourbaki-Panorama in Luzern, Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft (SIK), Zürich und Höhere Schule für Gestaltung Bern (HSFG), Fachklasse für Konservierung und Restaurierung HFG, Bern, Juni 1994.

Stefan Wülfert und Stefan Zumbühl, Bourbaki – Panorama Luzern. Untersuchungen zur Beeinflussung der Alterung des Bildträgers durch die Bookkeeper© - Behandlung, Berner Fachhochschule, Studiengang für Konservierung und Restaurierung, Kunsttechnologisches Labor, 1999.

 

Heinz Dieter Fink und Michael T. Ganz, Bourbaki Panorama, Zürich 2000.

Georg Carlen et al., Denkmalpflege im Kanton Luzern. Luzern, Löwenplatz 11, Bourbaki-Panorama. Restaurierung der Panorama-Rotunde, Notsicherung des Rundbilds, Restaurierung und Umbau der Grossgarage von 1926, Neubau der Stadtbibliothek, in: Jahrbuch der Historischen Gesellschaft Luzern, Bd. 19, Luzern 2001, S. 91-103.

Christoph Herm, Untersuchungsbericht. Versuche und Abklärungen im Hinblick auf eine Neutralisation mit dem Bookkeeperverfahren, Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft (SIK), 23. Dezember 2002.

Christian Marty, Konservierung und Restaurierung des Rundgemäldes von Eduard Castres (Bourbaki-Panorama) 1996-2003, Historische Gesellschaft Luzern, Jahrbuch 22, 2004, S. 147 – 154.

 

 

 

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