In Rot und Blau über die Grenze

Im Europa des ausgehenden 19. Jahrhunderts war Reisefreiheit üblich: Ohne Passkontrolle konnte man mit dem Zug von London bis nach Konstantinopel gelangen. Die Ereignisse des Deutsch-Französischen Krieges zeitigen spezielle Regeln: Die Entwaffnung, gesundheitliche Prüfung, medizinische Versorgung sowie die Unterbringung und Betreuung der 87 000 französischen Soldaten stellen die rurale und ärmliche Bevölkerung der Schweiz vor Herausforderungen. Angesichts der sich nähernden kriegerischen Auseinandersetzungen wird die Grenze zur Schweiz im Januar 1871 bewacht. Gemäss vertraglicher Vereinbarung und behördlicher Weisung sind sämtliche Personen in französischen Militär-Uniformen zum Übertritt berechtigt.

Die französischen Uniformen unterscheiden sich in Formen, Materialien und Details, je nach Herkunftsregion und militärischem Rang. Ihre Nachbildung bei der grossen Restaurierung des Borubaki Panoramas von 1996 bis 2000 erfolgt auf der Basis akribischer Recherche. Die Detailliebe ihrer Reproduktion ist beeindruckend. Unverkennbar sind die Nationalfarben Frankreichs – besonders prominent das charakteristische Rot. Es markiert meist Hose, Gurt und Mütze und zeichnet fast sämtliche Variationen der französischen Uniformen aus. In Rot-Blau gelangt man im Rahmen der Internierung also fliessend über die Grenze.

Allen anderen ist der Zutritt versagt. Über das Schicksal der «Ausgegrenzten» – ob zivile Flüchtlinge oder unbewaffnete Vivandièren, die als Flickerinnen, Wäscherinnen und Händlerinnen in Zivilkleidung die Armee begleiteten – ist uns nur wenig bekannt. Die Geschichte der Internierung offenbart den ambivalenten Charakter von Grenzen zwischen Verbindungsmöglichkeit und Trennlinie.

Hinweis:
Im Rahmen des Erinnerungsjahres «Solidarität überschreitet Grenzen. 150 Jahre Bourbakis in der Schweiz 1871–2021» widmet sich das Museum Bourbaki Panorama in einer interaktiven Sonderausstellung dem Thema der Grenze: «Über Grenzen. Neugier, Hoffnung, Mut» (bis 31.12.2022) reflektiert Grenzsituationen, Grenzerfahrungen, Grenzüberschreitungen und Grenzüberwindungen in aktuellen alltäglichen Kontexten.

Vertreterinnen und Vertreter des Vereins Museen Luzern stellen wöchentlich eine Trouvaille aus ihrem Fundus an Objekten und Geschichten vor.

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