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«Mes bons et chers amis»: die Korrespondenz der internierten Bourbaki-Soldaten

Am 17. Februar 1871 schreibt der Internierte Émile Bellenger an die Familie seiner Schwester in Chateauroux, Frankreich. Der Brief ist adressiert an Eugène, den Ehemann der Schwester. Noch immer geschwächt von den Strapazen des Krieges befindet sich Émile im Lazarett Les Terreaux in Neuchâtel. Als Post von Internierten wird der Brief unentgeltlich nach Frankreich gelangen. Abzulesen ist dies den Angaben auf der Adressseite.

Schreiben nach Mass
Die Genfer Konvention sieht den portofreien Postverkehr zwar bei Kriegsgefangenschaft, nicht allerdings im Falle einer Internierung vor. Um die kostenlose Korrespondenz dennoch zu gewährleisten, werden gemäss Weisung des Bundesrats flugs Gratis-Marken und vorgedruckte Korrespondenzkarten produziert und an die Internierten verteilt. Das Militärdepartement motivierte die Internierten explizit zur Korrespondenz mit den Angehörigen bezüglich Befindlichkeit und Aufenthaltsort. Schreibunkundige erhalten Hilfe von alphabetisierten Einheimischen. Gewichtig darf die Nachricht allerdings nicht sein: 20 Gramm ist das Höchstmass!

Im Eiltempo
Wer nicht, noch nicht oder gerade keine Gratis-Marken zur Hand hat, versieht den Brief gemäss bundesrätlichen Regelung mit dem Wort «Gratis» oder dem «Franco»-Stempel. Nach Vereinbarung mit den französischen Behörden wird auch eingehende Post an die Internierten portofrei zugestellt – Kennzeichen hierfür ist der «Franco»-Stempel. Ausnahme zur Regel bilden die von den Deutschen besetzten Gebiete – hier muss sowohl frankiert wie auch entwertet werden. Viele Briefe von Internierten wurden dennoch per Poststempel entwertet – vermutlich ein Versehen aus Gewohnheit. Natürlich werden auch Karten in arabischer Sprache verfasst – sie gelangen in die algerischen Kolonialgebiete. Hergestellt werden die Gratis-Marken per Buchdruckverfahren auf gummiertem violettem Papier. Die Eile mässigt die Qualität: Viele der heute noch vorhandenen Marken haben sich im Laufe der Zeit in diversen Nuancen verbleicht.

Pioniercharakter
Bereits 1870 entstand in privaten Rotkreuz-Hilfsvereinen die Rotkreuzvignette. Da sie von einer privaten Hilfsorganisation und nicht von der Post herausgegeben wurde, musste ihr der Bund allerdings zuerst die Portofreiheit zugestehen. Philatelistisches Detail: Aufgrund ihrer kurzen Laufzeit sind die Gratis-Marken von 1871 heute eine Rarität. Die direkte Herausgabe durch die Post macht sie zudem zu einer Pionierin: Sie ist die erste portofreie Marke weltweit.

 

Adressseite eines Briefes des Internierten Émile Bellenger, adressiert an seinen Schwager Eugène Leprêtre, versehen mit Rotkreuz-Vignette, Post- und «Franco»-Stempel.
Adressseite eines Briefes des Internierten Émile Bellenger, adressiert an seinen Schwager Eugène Leprêtre, versehen mit Rotkreuz-Vignette, Post- und «Franco»-Stempel.
Eingehender Brief aus Frankreich an einen Bourbaki-Soldaten in Luzern mit «Franco»- und Poststempel.
Eingehender Brief aus Frankreich an einen Bourbaki-Soldaten in Luzern mit «Franco»- und Poststempel.
Ansicht einer der schnell produzierten, heute nur noch rar erhaltenen Gratis-Marken in violettem Farbton.
Ansicht einer der schnell produzierten, heute nur noch rar erhaltenen Gratis-Marken in violettem Farbton.
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